Digitales Lernen im Vergleichstest

Welche zusätzlichen Lerneffekte können mit Social Augmented Learning (SAL) in der technisch-gewerblichen Berufsausbildung erzielt werden?

Thomas Hagenhofer, Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien (ZFA)
Lutz Goertz, mmb Institut – Gesellschaft für Medien- und Kompetenzforschung mbH

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Vorbemerkungen zum Vergleichstest

Im gesamten SAL-Projektverlauf wurde bei verschiedenen Gelegenheiten, ob in den Beiratssitzungen oder in Zusammenhang mit den Erprobungen, die Frage diskutiert, welchen Einfluss die neue Lernform auf das Lernen bzw. auf den Lernerfolg hat. Immer wieder wurden von Lehrer/innen, Ausbilder/innen und Azubis der große Vorteil einer selbst steuerbaren Visualisierung von Prozessabläufen und die Motivationssteigerung durch SAL bei den Lernenden betont. Dies führte nach den ersten praktischen Erprobungen 2014/2015 zur Überlegung, gegen Ende der Projektlaufzeit einen Vergleichstest von konventionellem Unterricht und dem Lernen mit Social Augmented Learning (SAL) durchzuführen.

Ziel dieses Vergleichstests war, genauere Anhaltspunkte für die lernförderliche Wirkung von SAL zu erhalten und mögliche Probleme bei der Vermittlung von Lerninhalten durch SAL aufzudecken.

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Vergleichende Erprobung – Experimentaldesign

Der Vergleichstest fand am 10. Mai 2016 in der Druckerei des SBBZ Saale-Orla-Kreis in Pößneck statt. Sie wurde durch das Projektteam als vergleichende Leistungskontrolle konzipiert und durch die örtlichen Lehrer in Anwesenheit des Projektkoordinators mit einer Experimentalgruppe (SAL) und einer Kontrollgruppe durchgeführt.

Die Experimentalgruppe eignete sich das Wissen über das dritte im Projekt entstandene Lernmodul zum Thema „Lackieren“ in Gruppenarbeit mithilfe von Tablets und dem SAL-System an. Lernende in der Kontrollgruppe absolvierten den Unterricht eher konventionell mit PowerPoint-Präsentation, Aufgabenblättern und Fachbüchern. Es wurde darauf geachtet, dass die Gruppen nach demographischen Merkmalen wie Geschlecht, Alter, Ausbildungsjahr sowie in ihrem Leistungsstand annähernd gleich verteilt waren. Anschließend wurde in beiden Klassen eine Leistungskontrolle durchgeführt. (direkt zu den Ergebnissen springen)

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Vorbereitung der Untersuchung

Um diese Merkmale in der späteren Auswertung zu kontrollieren, wurden vor Beginn des Vergleichtests zunächst Vorwissen und Interesse am Thema von den Teilnehmern abgefragt. Vorbereitet wurde der Termin durch mehrere Telefonate und E-Mail-Kommunikation. Die beiden Fachlehrer hatten sich vorab in das Modul eingearbeitet. Auf Wunsch der Lehrer wurde zusätzlich die PC-Version des Lernmoduls zur Verfügung gestellt, um die Nutzung der in der Druckerei vorhandenen interaktiven Tafel erproben und im Unterricht einsetzen zu können.

Probleme bereitete die Synchronisation der Module auf den Tablets/Schulrechnern mit dem WebDav-Server. Diese konnte aufgrund von fehlenden Administratorrechten im lokalen Netzwerk nur auf einem Rechner an der Schule durchgeführt werden. Die Erprobung wurde an einer Heidelberger Speedmaster SM 52 durchgeführt, ein Markerset wurde an einem Druckwerk platziert. Es standen sieben Tablets für die Erprobung zur Verfügung, die aufgrund der fehlenden technischen Ausstattung nicht per WLAN verbunden wurden.

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Ablauf der Erprobung in der Experimentalgruppe

Der leitende Fachlehrer begrüßte die Teilnehmenden der Experimentalgruppe in der Druckerei der Schule und informierte über die Erprobung und das Modul-Thema. Der Projektkoordinator stellte kurz das SAL-Projekt vor. Anschließend demonstrierte er kurz (3 Minuten) die Funktionsweise des Lernmoduls.

Die beiden Fachlehrer verteilten dann die Aufgabenblätter (siehe Anhang) an die Azubis und erläuterten den Ablauf. Die Schüler wurden in drei nach pädagogischen Aspekten zusammengesetzte Gruppen zu je drei Azubis eingeteilt. Alle Gruppen sollten drei Fragestellungen mithilfe des Lernmoduls so vorbereiten, dass sie in der anschließenden Auswertung beantwortet werden konnten.

Daraufhin erkundeten die Azubis ausgiebig das Lernmodul (ca. 120 Minuten ohne festgelegte Pausen). Im Wechsel nutzten sie den AR-Modus. Bedienerprobleme traten keine auf, bis auf die Einstellung der Animationsgeschwindigkeit, die an einigen Geräten nicht funktionierte. Die Erprobung lief störungsfrei ab. Die Azubis erarbeiteten sich mithilfe des SAL-Moduls und über Internetressourcen die Lösungen zu den gestellten Aufgaben. Dabei wurde deutlich, dass die gezielte Recherche im Internet eine hohe Hürde für die teilnehmenden Azubis darstellte. Es gelang ihnen nicht, relevante Internetressourcen zum Thema zu finden. Die Fachlehrer mussten in diesem Punkt unterstützen.

Nach der Selbstlernphase wurden die oben beschriebenen Fragestellungen den Gruppen zugelost. Daraufhin hatten sie nochmals 20 Minuten zur Vorbereitung der Präsentation.

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Einsatz der interaktiven Tafel bei der Erprobung

 

Exkurs: Interaktive Tafel

Die Präsentationen wurden an der Interaktiven Tafel durchgeführt. Alle Lerngruppen konnten die gestellten Fragen beantworten. In einer Präsentation wurden mithilfe der interaktiven Tafel die Komponenten des Lackwerks beschriftet. Technisch gesehen gab es keine Probleme. Die Schüler/innen konnten nach wenigen Anläufen das Lernmodul gut mit dem Board-Pen steuern (inklusive Zoom und Drehungen).

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Ablauf des Unterrichts in der Kontrollgruppe

Parallel zur Experimentalgruppe lernte die Kontrollgruppe mit etwa gleichem Leistungsstand und Vorwissen mit konventionellen Methoden (PowerPoint-Vortrag, Lehrbücher) im selben Zeitumfang.

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Methodik und Durchführung der Leistungskontrolle

Kurz vor der Mittagspause wurde dann in beiden Klassen dieselbe Leistungskontrolle durchgeführt. Aufgrund eines Missverständnisses unter den Lehrern durften die Azubis der Kontrollgruppe im Gegensatz zur Experimentalgruppe ihre Aufzeichnungen verwenden. Nachdem dies erkannt wurde, erstellten die Fachlehrer einen neuen Test und führten diese neue Leistungskontrolle am nächsten Morgen unangekündigt in beiden Klassen durch. Bei beiden Tests waren maximal 24 Punkte zu erreichen. Die Ergebnisse in der SAL-Klasse waren im ersten Test bereits gleich gut und im zweiten deutlich besser als in der Klasse mit konventionellem Unterricht (siehe Auswertung im übernächsten Abschnitt). Der Ergebnisse der Untersuchung werden im weiteren Verlauf dieses Berichts geschildert.

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Exkurs: Diskussions- und Feedbackrunde

Die mündliche Auswertung der Erprobung fand nach der Leistungskontrolle in der Druckerei des SBBZ statt (ca. 15 Minuten). Es wurden gezielt die Azubis der Experimentalgruppe befragt.

Die Erprobung kam bei allen Azubis sehr gut an. In einer Gruppe gab es Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit wegen mangelnder Bereitschaft zur Teamarbeit der Beteiligten. Die Azubis schlugen hierfür Lösungen vor. Die Aufgabenstellungen empfanden sie als angemessen. Keiner der Azubis wollte mit der Klasse im konventionellen Unterricht tauschen, lediglich die Fachbücher wurden vermisst. Die Internetnutzung fanden sie eher umständlich.

Probleme hatten einige Teilnehmenden mit den Verlinkungen innerhalb des Moduls. Sie hatten wohl nicht erkannt, dass sie generell alle Inhalte erreichen, wenn sie das Modul linear durcharbeiten oder hatten Orientierungsprobleme. Für den Unterrichtseinsatz wäre zu prüfen, ob man die Module nicht in noch kleinere Einheiten unterteilen sollte.

Beim Feedback zur Lernkontrolle wurde betont, dass es Unsicherheiten hinsichtlich der zu verwendenden Fachbegriffe gab.

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Evaluation der Leistungskontrolle

Die folgende Evaluation bezieht sich auf den am Folgetag durchgeführten zweiten Test. Die erhobenen Daten wurden anhand eines Mittelwertvergleichs in PSPP ausgewertet. Insgesamt lagen 18 Testergebnisse vor – 9 aus der Experimentalgruppe und 9 aus der Kontrollgruppe.

Zur Erhebung des Vorwissens

Zunächst wurde überprüft, ob ein Einfluss auf das Testergebnis durch das eigene Vorwissen und das Interesse am Thema besteht. Hierzu wurden den Auszubildenden vor dem eigentlichen Test zwei Fragen gestellt:

  • „Behandelt wird im Kurs das Thema ‚Lackieren‘. Was schätzen Sie – wie gut wissen Sie vorher schon über dieses Thema Bescheid?“
    (sehr gut = 1, eher gut = 2, eher nicht gut = 3, überhaupt nicht gut“ = 4)
  • „Und wie groß ist jetzt vor der Unterrichtseinheit Ihr Interesse am Thema ‚Lackieren‘?“
    (Sehr großes Interesse = 1, eher großes Interesse = 2, eher geringes Interesse = 3, überhaupt kein Interesse = 4)

Das Vorwissen war bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der SAL-Gruppe eher niedrig. Sechs Teilnehmer sagten hier „eher nicht gut“, die anderen konnten es nicht beurteilen. In der Kontrollgruppe waren die Kenntnisse besser – 6 Teilnehmer schätzen es „eher gut“ ein. Das Interesse am Thema war in beiden Gruppen annähernd gleich verteilt.

Ergebnisse der Lernerfolgskontrollen

Dies ließe erwarten, dass die Testergebnisse in der Kontrollgruppe etwas besser ausfallen müssten, weil das Vorwissen dort höher ist – es sei denn, die Unterrichtsmethode hätte einen Einfluss darauf. Im Mittel erreichten die Azubis über beide Gruppen hinweg 17,8 von 24 möglichen Punkten. Die Teilnehmer der SAL-Experimentalgruppe erreichten mit 19,1 Punkten im Schnitt fast 3 Punkte mehr als die Teilnehmer der Kontrollgruppe mit 16,6 Punkten.

Trotz eines geringeren Vorwissens und eines vergleichbaren Interesses haben die Azubis in der SAL-Gruppe deutlich besser abgeschnitten. Demnach hat die Lernmethode mit dem Augmented-Reality-System einen größeren Lernerfolg erzielt.

Azubis mit dem Schwerpunkt Bogenoffset lagen mit 15,5 Punkten am unteren Ende der Bewertungsskala – und gehörten alle der Kontrollgruppe an. Möglicherweise hat also auch die Tatsache, dass die Teilnehmer aus der Kontrollgruppe als Azubis mit Schwerpunkt Bogenoffset bereits Vorkenntnisse haben, einen gewissen Einfluss auf das Ergebnis. Vielleicht haben sie den Test „auf die leichte Schulter“ genommen. Genauso gut ist es aber auch möglich, dass sie in einer Gruppe mit SAL-System besser abgeschnitten hätten.

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Einordnung der Ergebnisse in das Erprobungskonzept des Social Augmented Learning

Sicherlich kann das oben beschriebene Experiment nur Anhaltspunkte für die Wirkung des Einsatzes von Social Augmented Learning liefern. Vor allem müssten die Ergebnisse an weiteren Schulstandorten mit dem gleichen Setting verifiziert werden. Dennoch können wir zum Ende des Projektes folgende Aussagen treffen:

  • In allen bisher durchgeführten 16 Erprobungen mit SAL-Lernmodulen wurde von Seiten der Lehrenden und der Lernenden eine wesentliche Motivationssteigerung der teilnehmenden Azubis festgestellt. Selbst in sogenannten „schwierigen“ Klassen ließ sich nahezu problemlos selbstgesteuertes Lernen durchführen.
  • Bei allen Erprobungen wurde die hohe Bedeutung der Visualisierung von in der Maschine verborgenen Prozessen hervorgehoben. Gerade bei der Zielgruppe „Auszubildende in technisch-gewerblichen Berufen mit mittleren bis niedrigen Schulabschlüssen“ sind hier positive Effekte im Vergleich zum Lernen aus Fachbüchern zu erwarten.
  • Der Einsatz von Augmented Reality in den Lernmodulen unterstützt die „Awareness“ der Lernenden im Zusammenhang mit den in der Maschine ablaufenden Prozessen. Er verfolgt weniger das Ziel der Vermittlung von deklarativem oder prozeduralem Wissen sondern dient im Rahmen der Kontextvermittlung vor allem der Bewusstwerdung von Abläufen in der Maschine. Was vorher nur verbal oder in Schaubildern und Animationen abstrakt darstellbar war, wird nun an der Maschine selbst visuell erfahrbar.
  • Die Bereitstellung eines Internetzugangs per WLAN stellt (noch?) für nahezu alle Schulen eine kaum zu überwindende Hürde dar. Dabei spielt weniger die Netzbereitstellung sondern vor allem die Restriktionen von Rechten und Firewalls eine große Rolle.
  • Die Nutzung des Autorenwerkzeugs zur Anpassung von Modulen oder zum Erstellen neuer Inhalte bedarf einer intensiven Einführung und Betreuung. Nach Veröffentlichung der ersten finalen Version sollte daher ein bundesweiter Workshop im Rahmen der Lehrer-Arbeitsgemeinschaft Medien angestrebt werden. In diesem Rahmen sollte dann auch die Unterstützung im Rahmen der Angebote der Mediencommunity (SAL-Community für Lehrende, Prüfungsvorbereitung für Azubis) diskutiert und angepasst werden.
  • Das in der vergleichenden Erprobung erzielte gute Testergebnis der SAL-Experimentalgruppe bei einer nicht angekündigten Leistungskontrolle am Folgetag der Unterrichtseinheit lässt eine nachhaltige Wirkung beim Wissensaufbau vermuten.
  • Mit dieser neuen Lernform kann ein Beitrag dazu geleistet werden, die Lernleistungen in der Zielgruppe des Projektes zu erhöhen. Der damit verbundene Wissenserwerb bildet eine wichtige Grundlage für einen Aufbau von Fachkompetenz im Umfeld komplexer Maschinenprozesse, gerade im Zusammenhang mit Industrie 4.0 und hilft so, die Lücke zwischen beruflicher Qualifizierung und Hochschulstudium zu schließen.

Folgende zu untersuchende Fragestellungen ergeben sich u. a. für die weitere Forschung:

  • Welchen Einfluss haben die im Zusammenhang mit dem SAL-Modul eingesetzten didaktischen Mittel (Gruppenlernen, Präsentieren der Ergebnisse) auf den Lernerfolg?
  • Ergibt sich eine weitere Leistungssteigerung durch die zusätzliche Nutzung von Fachbüchern?
  • Nutzt sich der positive Effekt von SAL nach einer gewissen Zeit ab (Gewöhnungseffekt)?

Das SAL-Team bedankt sich herzlich bei den Lehrern des SBBZ Saale-Orla-Kreis, Frank Mylius, Ingo Landgraf und Henry Baderschneider für die umfangreiche Unterstützung und die engagierte Durchführung des Experiments an ihrer Schule.

Thomas Hagenhofer

Thomas Hagenhofer, Informationswissenschaftler M.A., arbeitet seit 2001 in innovativen Lernprojekten beim Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien. Sein Schwerpunkt liegt auf der technischen und didaktischen Konzeption neuer Lernanwendungen. Er koordiniert das Verbundprojekt Social Virtual Learning 2020.

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