SVL in der Praxis
Interview mit Rolf Wyss, Berufsschullehrer für Drucktechnik in St. Gallen (Schweiz) und Ronny Willfahrt, Mitarbeiter beim Verband Druck und Medien NordOst in Hannover (aus Druck- und Medien-Abc des ZFA, Oktober 2018)
Wodurch seid Ihr in St. Gallen auf SAL/SVL aufmerksam geworden?
Wyss: Im Rahmen der internationalen Trainingswoche aller WorldSkills-Teilnehmer für WorldSkills AbuDhabi 2017 im Print Media Center in Heidelberg wurde auch die Projektbeteiligung an SAL (Social Augmented Learning) und SVL (Social Virtual Learning) vorgestellt. Im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Wettbewerbsaufgaben bei Print Media Technology könnten Augmented und Virtual Reality mögliche neue Herausforderungen darstellen. Ich war als Schweizer WorldSkills-Experte in Heidelberg dabei und mein deutscher Expertenkollege, Bernhard Nahm, der auch Leiter berufliche Bildung Medienberufe bei Heidelberg ist, ermöglichte mir den Kontakt zu den Projektpartnern. Ich interessierte mich natürlich für den Einsatz in der beruflichen Bildung der Medientechnologen. Das war im September 2017.
Nach den WorldSkills konnte ich im November 2017 an der ersten Erprobung des Projektes SVL2020 am Beruflichen Schulzentrum Alois Senefelder in München teilnehmen. Die Erprobung in München war sehr eindrucksvoll und ich nutzte die Kontakte um SAL und SVL auch an der Schule für Gestaltung in St. Gallen einführen zu können.
SAL und SVL in St. Gallen (Quelle: Rolf Wyss)
Wie verlief die Einführung?
Wyss: Ich konnte die Einführung in St.Gallen im Dezember 2017 in Angriff nehmen. Die Beschaffung der Hardware gestaltete sich einfacher als erwartet. Es braucht „lediglich“ ein Virtual-Reality-System bestehend aus VR-Brille, Basisstationen und Controllern, einen leistungsstarken „Gaming“-Computer mit Grafikkarte der neuesten Generation und Android-Tablets für die Augmented-Reality-Anwendung.
Bei der Installation musste ich mich zuerst gut organisieren, das heißt, ich bereitete meine Zugänge zum Microsoft-Konto (Hardware PC), zum SteamVR-Konto (Plattform) und für das HTC-Vive-Headset vor. Zudem installierte ich die SAL-App auf den Tablets und auf den PCs. Sehr bald war alles installiert und ich konnte loslegen. Zuerst probierte ich die bereitgestellten SAL- und SVL-Module aus, ließ die Lernenden natürlich schon schnuppern und ausprobieren. Ab Frühling 2018 kümmerte ich mich um die Erstellung eigener Module.
Ronny, wie setzt Ihr SAL/SVL im Verband Druck und Medien NordOst ein?
Willfahrt: Wir unterstützen mit SAL und SVL unsere Kurse für angehende Medientechnologen Druck in unserer überbetrieblichen Ausbildungsstätte. Wir sind dort zwar gut ausgestattet, aber wir haben beispielsweise keine Offsetdruckmaschine mit Wendeeinrichtung. Solche Aspekte schulen wir dann mit SAL und SVL an einer rein virtuellen Druckmaschine. Auch für unsere alltäglichen Verbandsdienstleistungen haben wir eine komplette Ausrüstung für SAL und SVL angeschafft. Wir sind damit in unseren ausbildenden Betrieben unterwegs, um die Vorteile der Lernanwendungen erlebbar demonstrieren zu können. Im Übrigen besteht die Möglichkeit, das Equipment bei uns auszuleihen.
Welche Erfahrungen macht Ihr?
Wyss: Wichtig ist die gute Vorbereitung der Lernsequenzen. Da ich im Klassenverband nicht auf VR-Headsets für jeden Lernenden zurückgreifen kann, musste ich sequenzieren. Die Unterrichtseinheiten sind in Phasen eingeteilt. Erste Erfahrungen werden am PC gemacht, da stehen die geführten Module zur Verfügung. Anschließend oder zum Teil auch gleichzeitig probieren Lernende die Tablets für die Augmented-Reality-Anwendung aus. Als letzte und zugleich «krönende» Phase werden die Erkunder in Zweier-Gruppen in die virtuelle Welt via VR-Headset geschickt. Einer protokolliert und der andere führt die Aufgaben aus und dann wird gewechselt.
Die neuesten entstandenen Module sind im bilingualen Kontext angesiedelt. Für Medientechnologen, die bereits mit den Grundlagen der Druckwerktechnik vertraut sind, habe ich die Module ins Englische übersetzt und angepasst, damit die relevanten Fachbezeichnungen auf Englisch geübt werden können. Bei uns an der Schule wird das als Clil bezeichnet, die Abkürzung für Content learning in another language. Bei Clil geht es nicht um das grammatikalisch richtige Erlernen der Sprache, sondern um die inhaltlich richtige Anwendung von Begriffen. Diese Übungen kommen bei den Lernenden sehr gut an, denn hier sind Fehler erlaubt und man kann nichts falsch machen, außer man lässt sich nicht auf die Lernerfahrung ein. Wir werden in St. Gallen die Anwendung sehr häufig einsetzen und „müssen“ sie auch sehr viel vorführen. Wir sind stolz, dass wir in der Schweiz die VR-Vorreiter sind.
Willfahrt: Zunächst einmal erleben wir eine große Offenheit, sich mit den Anwendungen und der Technologie auseinander zu setzen. Bei den Auszubildenden sowieso, aber auch auf Seiten der Lehrer und Ausbilder. Wir beobachten zwar gelegentlich auch Ängste, so wie man es oft beim Einsatz neuer Technologien bei Menschen erlebt, aber diese Ängste verflüchtigen sich in der Regel schnell. Interessant ist, wie unterschiedlich die Lernanwendungen in die Ausbildung integriert werden. Häufig erleben wir, dass den Auszubildenden am Beginn eine Aufgabe übertragen wird, die sie dann mithilfe der Lernanwendungen in Gänze eigenständig lösen. Das Ganze funktioniert aber auch bestens unter Anleitung in der Gruppe. Ich erinnere mich an eine tolle Erprobung, wo die Anwendungen im stetigen Wechsel mit einer Live-Demo an einer realen Maschine eingesetzt wurden, einfach weil die Bauteile und ihre Bewegungen am Tablet viel besser einsehbar waren.
Letzte Frage, Ronny, welche Vorteile siehst Du für Unternehmen?
Willfahrt: Ich sehe unsere Druckereien vor allem in einem Wettbewerb um Fachkräfte und um den Nachwuchs. Wir dürfen es in der Druckindustrie nicht verpassen, auch die Ausbildung zeitgemäß zu gestalten. Mit SAL und SVL bekommen Druckereien zwei Werkzeuge an die Hand, mit denen sie sich im Wettbewerb um kluge Köpfe gut positionieren können. Außerdem handelt es sich bei Druckerzeugnissen doch um Kommunikations- und Informationsträger. Der digitale Wandel betrifft Druckereien meines Erachtens in einem besonderen Maße. Ich halte es deshalb für sehr klug, sich mit digitalen Technologien auseinanderzusetzen, mit denen wir in Zukunft kommunizieren und Informationen teilen. Ein weiterer Vorteil des Einsatzes von SAL und SVL ist deshalb ganz sicher, dass im Unternehmen Kompetenzen erworben werden, die sich später möglicherweise als Wettbewerbsvorteil erweisen.
Unsere Interviewpartner:
Rolf Wyss, Jahrgang 1961, ist seit 40 Jahren eng mit dem Drucken verbunden. Er ist gelernter Buchdrucker, zusatzgelernter Offsetdrucker, Druckingenieur, WorldSkills-Experte und hauptamtlich Fachbereichsleiter der Drucktechnologen und Printmedienpraktiker am Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrum/Schule für Gestaltung in St. Gallen/Schweiz.
Ronny Willfahrt, Dipl.-Ing. Medientechnik (FH), ist beim Verband Druck und Medien Niedersachsen e.V. Berater im Referat Technik. Er ist Experte für die Prozess-Standardisierung im Offsetdruck sowie für die Beratung im Bereich Web-to-Print und Database Publishing.