Tablets im Unterricht

Zwischen Heilsbringer und Teufelszeug

Das Thema „Smartphones und Tablets im Unterricht“ bestimmt weiter die Diskussion um den Einsatz digitaler Medien an Schulen. Während aber eine Minderheit hauptsächlich damit beschäftigt zu sein scheint, die Finanzierung für Tablet-Klassen auf die Beine zu stellen, gibt es bei vielen anderen nach wie vor große Vorbehalte gegenüber dem Lern-Einsatz dieser Technik. Mit diesem Beitrag wollen wir aus der Sicht unseres Projektes Social Augmented Learning (SAL), das stark auf diese neue Möglichkeit des Lernens setzt, ein wenig Licht in dieses Thema bringen.

Ronny-Willfahrt-©-VDMNO-e.V.-aufgenommen-bei-Ernst-Litfaß-Schule,-Berlin-01Tablets, noch in viel stärkerem Maße Smartphones gehören mittlerweile fest zur Lebenswelt gerade junger Menschen. Nach der JIM-Studie 2014 verfügen die Haushalte, in denen Jugendliche leben, zu 48 % über ein Tablet und knapp 90 % verfügen über ein eigenes internetfähiges Smartphone. Dies bedeutet, dass die Mediennutzung von Jugendlichen mehr und mehr durch diese Geräte geprägt wird, ob uns dies nun gefällt oder nicht. Der wesentliche Unterschied zu anderen Geräten (Desktop-Rechner/Notebooks) liegt in der ständigen Verfügbarkeit dieser mobilen Geräte. Und Verbote helfen nicht weiter, wie eine Untersuchung des BITKOM 2015 zeigte.

Nun warnt der Chef des LehrerInnenverbandes, Josef Kraus, in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur vor der „totalen Zwangsdigitalisierung“ des Unterrichts und vor damit einhergehenden „Kollateralschäden“. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beschäftigte sich hingegen schon auf der didacta 2014 intensiv mit dem „Für und Wider“, aber auch mit den praktischen Fragen des mobile learnings im Unterricht. Der Schweizer Bildungswissenschaftler Beat Döbeli Honegger hat in einem Wiki mehr als 50 Argumente gegen den Tablet-Einsatz im Unterricht dokumentiert, kategorisiert und bewertet. Kein Wunder also, dass Lehrende oftmals schwanken zwischen nicht durchsetzbaren und lebensfremden Verboten und der gemeinsam mit den SchülerInnen festgelegten geregelten Integration in den Unterricht.

Vieles spricht für den Einsatz mobiler Endgeräte im Klassenraum: Auch wenn der Hauptaspekt der Nutzung mobiler Endgeräte in jedem Fall in Freizeitaktivitäten liegt, fördert die ständige Verfügbarkeit des Internets die Ad-hoc-Aneignung von Wissen. Dies beinhaltet eine Beschleunigung in der Rollenänderung von Lehrenden. LehrerInnen, die bei Fragen von Schülern, verschämt und heimlich auf Wikipedia oder Leo nachschauen, werden es schwer haben, unter den „always-on-SchülerInnen“ akzeptiert zu werden. Junge Leute werden in einer Zeit erwachsen, in der die Maschine den Menschen im Bereich des recherchierbaren Faktenwissens den Rang abläuft und auf der Stufe zur Analysefähigkeit dieser Daten riesige Fortschritte macht (siehe IBM-Projekt Watson). Nicht mehr das gespeicherte, jederzeit abrufbare Faktenwissen ist bei Jugendlichen gefragt sondern die Fähigkeit, Orientierungs- und Handlungswissen im Wust der Information zu vermitteln, für ein Fach oder einen Beruf zu begeistern und Lernprozesse zu moderieren. Das ist die Herausforderung an Bildung in Zeiten der durchgängigen Digitalisierung von Wertschöpfungsketten – sowohl in der Industrie als auch im Medien- und Dienstleistungssektor.

Es genügt also nicht, den Einsatz von Lernmedien an den Schulen den aktuellen Entwicklungen anzupassen. Es geht vielmehr darum, den gesamten Unterricht zu verändern. Die Nutzung mobiler Lernmedien kann neue Lernpotenziale erschließen, wenn sie mit der passenden Didaktik verbunden wird. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Informations- und Schulungsangeboten zum Tableteinsatz im Unterricht (siehe die Links am Ende des Beitrags). Eines der Konzepte wird anschaulich in einem Artikel der FAZ beschrieben: „Wo mit Tablets unterrichtet wird, etabliert sich meist das didaktische Konzept des ´Flipped Classroom´, was so viel wie ´umgedrehter Unterricht´ bedeutet. Das Prinzip ist einfach: Statt in der Stunde bestimmte Inhalte zu vermitteln, bereiten die Schüler den Stoff mit Hilfe von Online-Videos, Podcasts und Wikis selbstständig vor. Im Unterricht werden dann Ergebnisse besprochen, Lösungen präsentiert und offene Fragen beantwortet.“

Ein unbestreitbarer Vorteil dieses Ansatzes ist die Aktualität. Die Ablösung des Schulbuchs als einziges Lernmedium hat längst begonnen, durch die neuen mobilen Medien könnte es seine Vorrangstellung endgültig verlieren. „In Bayern sind die Schulbücher teils 15 Jahre alt. Wie soll ich einen jungen Menschen mit Büchern begeistern, in denen die Arabische Revolution nicht existiert und in denen die Spice Girls als neuster Hype gefeiert werden?“, so Tobias Schnitter (Realschule Gauting, FAZ-Artikel, s. o.). Die Kehrseite der Medaille ist natürlich die Notwendigkeit, mit den ungefilterten Informationen aus dem Netz umzugehen. Dies erfordert eine völlig neue, breit aufgestellte Medienbildung. Insofern wirkt die Debatte auch als ein Katalysator für die dringend notwendige Förderung von Medienkompetenz in allen gesellschaftlichen Bereichen, aber gerade in der Bildung.

Im Projekt SAL haben wir die Gelegenheit, das Spektrum der didaktischen Möglichkeiten zu erweitern: In den Erprobungen der Lernmodule zeigt sich, wie sich Unterricht durch den Einsatz von Tablets verändert. Schnell wurde deutlich, dass das Lernen mit Tablets die Bereitschaft zum gegenseitigen Austausch von Wissen unter Lernenden fördern kann. Die am Tablet dargestellten Inhalte werden schnell zum Gegenstand von Diskussionen, eigene Erfahrungen der Azubis aus ihren Ausbildungsbetrieben fließen in den Unterricht ein. Die beschriebene Dynamik kann entweder spontan oder geplant zur Moderation von Lernprozessen genutzt werden. Und diese Wirkung ist wohl nachhaltiger als die sicher vorhandenen Motivationseffekte durch das im Unterricht neue, privat fast altbekannte Medium. Besonders wichtig scheint uns dabei, dass Auszubildende lernen, sich sprachlich über die Fachinhalte auszutauschen und selbst ihr erarbeitetes Wissen zu präsentieren – ob in der Gruppe oder als Kurzvortrag vor der gesamten Klasse. Kommunikation – ob im Team oder mit Kunden – wird auch in den gewerblich-technischen Berufen einen immer höheren Stellenwert bekommen. Noch stehen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zur lernfördernden Wirkung des Tableteinsatzes aus, in einem Teilbereich des maschinennahen Lernens wollen wir dies im Projekt SAL ein Stück voranbringen.

Infoseiten:

 

Schulungsanbieter/Projektbegleitung (ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit und Qualität):

Thomas Hagenhofer

Thomas Hagenhofer, Informationswissenschaftler M.A., arbeitet seit 2001 in innovativen Lernprojekten beim Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien. Sein Schwerpunkt liegt auf der technischen und didaktischen Konzeption neuer Lernanwendungen. Er koordiniert das Verbundprojekt Social Virtual Learning 2020.